Scham ist böse. Scham ist patriarchal. Scham ist ein Kontrollinstrument. Zumindest, wenn man bestimmten feministischen Diskursen Glauben schenkt. Denn dort scheint Scham inzwischen als ein Relikt aus dunklen Zeiten zu gelten – eine Art seelisches Korsett, das Frauen gefälligst abstreifen sollen. Wer sich noch für irgendetwas schämt, hat den Feminismus einfach nicht verstanden.
Von der Unterdrückung zur Schamlosigkeit – eine Erfolgsgeschichte?
Natürlich: Frauen wurde jahrhundertelang eingeredet, sich für ihren Körper, ihre Sexualität oder ihre Ambitionen zu schämen. Das war falsch. Aber was ist die Antwort darauf? Eine völlig enthemmte, schamfreie Existenz, in der sich niemand mehr fragt, ob das eigene Verhalten vielleicht doch nicht so großartig ist?
Inzwischen scheint die Botschaft zu lauten: Schäme dich für gar nichts – nicht für dein Verhalten, nicht für deine Entscheidungen, nicht einmal für offensichtliche Fehltritte. Kritisiert dich jemand? Gaslighting! Hält dich jemand für rücksichtslos? Patriarchale Manipulation!
Ob „Slut-Shaming“, „Body Positivity“ oder „Emotional Liberation“ – es geht nicht mehr nur darum, toxische Scham abzulegen, sondern jegliche Form von Scham als Feind zu betrachten. Das Credo: Tue, was du willst, und wenn jemand die Stirn runzelt, ist das sein Problem.
Scham – ein patriarchales Konstrukt? Oder vielleicht doch ein soziales Schmiermittel?
Kleine Erinnerung: Scham ist kein patriarchales Folterwerkzeug, sondern eine uralte soziale Emotion, die uns hilft, nicht wie komplette Soziopathen durchs Leben zu stolpern. Wer keine Scham kennt, rempelt sich rücksichtslos durch die Welt – und wird irgendwann zurecht als Egomane abgestempelt.
Tatsächlich gilt in der Psychologie das völlige Fehlen von Scham als eines der Hauptmerkmale von antisozialen Persönlichkeitsstörungen. Aber hey, wenn die moderne Frauenbewegung es schafft, Menschen zu befreien, indem sie sie zu unangenehmen Narzissten umerzieht, dann Glückwunsch.
Schamlosigkeit ist keine Tugend
Die traurige Wahrheit ist: Eine Gesellschaft ohne Scham ist nicht progressiv, sondern rücksichtslos. Klar, toxische Scham muss hinterfragt werden. Aber völlige Schamlosigkeit ist auch keine Lösung – es sei denn, man steht auf eine Welt voller Leute, die sich völlig schmerzfrei danebenbenehmen.
Vielleicht wäre es an der Zeit, Scham nicht nur als Unterdrückungswerkzeug zu betrachten, sondern als das, was sie ist: ein zutiefst menschliches Gefühl. Frauen sollten sich nicht für ihre Existenz schämen – aber sie haben verdammt nochmal auch das Recht, sich zu schämen, wenn sie etwas tun, das ihnen selbst unangenehm ist.
Also, liebe Feministinnen: Ihr müsst euch nicht für Scham schämen. Sie gehört zum Menschsein dazu. Wer sich nie schämt, hat vielleicht einfach aufgehört, sich selbst zu hinterfragen. Und das ist selten ein Zeichen von Fortschritt.
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