Sarah Bosetti und die bequeme Moral der Entrüstung

Es gibt eine besondere Art der Empörung, die nur funktioniert, wenn man selbst nicht betroffen ist. Sarah Bosetti und ihre weiblichen Kommentatorinnen liefern in ihrer Diskussion mit Ole Nymon ein Paradebeispiel dafür. Der Stein des Anstoßes? Nymons Weigerung, sich dem Dienst an der Waffe zu unterwerfen. Die Reaktion der Damenrunde? Fassungsloses Unverständnis.

Der Clou: Keine von ihnen würde je in die Situation kommen, diesen Dienst selbst leisten zu müssen. Ihr Entsetzen ist also kein Ausdruck eigener Betroffenheit, sondern moralischer Schaulauferei.

Hier zeigt sich die Schönheit einer privilegierten Position: Man kann mit erhobener Stimme fordern, dass der Staat doch verteidigt werden muss – natürlich von anderen. Dass das mit Gewalt, Risiko und dem potentiellen Tod verbunden ist? Nun, das bleibt das Problem der Männer.

Man verteidigt die eigenen Rechte, die eigene Sicherheit und den eigenen Lebensstil – aber bitte nur in der Theorie. Die schmutzige Arbeit mögen doch bitte diejenigen erledigen, die von Geburt an dafür vorgesehen sind. Gleichberechtigung? Ja, aber nicht im Schützengraben.

Selektive Moral

Es ist eine faszinierende Form der selektiven Moral: Lautstarke Empörung über diejenigen, die sich dem Dienst an der Waffe für einen Staat verweigern, während man selbst niemals auch nur hypothetisch in dieselbe Lage kommen könnte. Ein wirklich bequemer Feminismus. Was sich hier als gerechter Kampf für eine nicht unterdrückte Gesellschaft gibt, ist am Ende nicht anderes als die Empörung darüber, als Mann nicht unreflektiert sein Leben zu opfern, damit die Damen in Ruhe ihren Hafer-Latte im kindgerechten Café in Friedrichshain genießen können.

Doch Gleichberechtigung bedeutet auch, Verantwortung zu teilen. Nicht nur bei Vorstandspositionen, sondern auch bei den unappetitlichen Seiten des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Alles andere bleibt ein gut kaschiertes Privileg.

Noch deutlicher wird das Problem, wenn man sich fragt, welche Konsequenzen die Diskussionsteilnehmerinnen bereit wären, selbst zu tragen. Wäre eine von ihnen bereit, die gleichen Pflichten zu übernehmen, die sie so vehement von anderen einfordern? Wäre eine von ihnen bereit, ihre eigenen Körper für den Schutz von Land und Gesellschaft aufs Spiel zu setzen? Ihre Kinder? Die wohl schon eher.

Der erwartete Sprung in die Knochenmühle

Die Antwort liegt auf der Hand. Während Männer seit Jahrhunderten als Kanonenfutter betrachtet werden, bleibt Frauen in dieser Debatte die komfortable Position der Unbeteiligten. Dass sie trotzdem mit voller Wucht darüber urteilen, wer sich der Pflicht zu unterwerfen hat, spricht Bände.

Die Logik ist ebenso schlicht wie zynisch: Wer geboren wurde, um Privilegien zu genießen, darf sich entrüsten, wenn andere aus der ihnen zugedachten Rolle ausbrechen. Dabei ist es bezeichnend, dass die Frage der Wehrpflicht fast ausschließlich als Männerproblem betrachtet wird. Wo bleibt die Forderung nach einer geschlechtergerechten Pflicht? Wo bleibt die Empörung darüber, dass diese Last seit jeher nur auf eine Hälfte der Gesellschaft verteilt wird?

Man feiert Fortschritt und Gleichstellung – aber nur, wenn es um Rechte geht, nicht um Pflichten. Man fordert gleiche Bezahlung, gleiche Chancen, gleiche Mitsprache. Aber sobald es um die harten, existenziellen Fragen geht, um Leben und Tod, um Blut und Schweiß, bleibt es doch wieder die Aufgabe der Männer. Wer sich dem entzieht, wird als Feigling gebrandmarkt, während die, die niemals in diese Lage kommen, mit reinem Gewissen den moralischen Zeigefinger heben.

Es ist leicht, mutig zu sein, wenn andere die Rechnung bezahlen. Und noch leichter ist es, Moralpredigten zu halten, wenn man sicher weiß, dass man niemals selbst in die Knochenmühle springen muss.

Wer wirklich für Gleichberechtigung einsteht, sollte sich fragen, ob er oder sie bereit ist, auch die unbequemen Pflichten mitzutragen. Alles andere ist ein verlogenes Spiel, das am Ende nur diejenigen belastet, die schon immer die Last getragen haben.

Es wäre vermessen und ungerecht, den Beitrag von Marina Weisband zur Diskussion unter dieser Prämisse zu betrachten. Sie hat einen der erhellensten Sätze in dieser Diskussion gebracht:

… Die Wahrheit ist, je liberaler und je pazifistischer eine Gesellschaft ist, desto weniger braucht es, um sie anzugreifen. Und deshalb fehlt für mich der Satz „nie wieder“. Und Deutsche meinen damit häufig „nie wieder Krieg“, aber wir Juden meinen damit „nie wieder wehrlos“.“

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