An der Spitze der Bedeutungsinflation in Prinzessinnenland steht der Begriff Trauma. Was einst für schwerste seelische Erschütterungen reserviert war, die das Leben eines Menschen dauerhaft prägen konnten, ist heute ein Lifestyle-Accessoire für jede noch so banale Kränkung. Vom falschen Starbucks-Namen bis zur harschen WhatsApp-Nachricht: Im Prinzessinnenland ist alles ein Trauma – und wehe, jemand wagt es, das in Frage zu stellen.
Früher: Trauma war Krieg. Heute: Trauma ist Kritik.
Damals, als Worte noch Bedeutung hatten, sprach man von Trauma, wenn es um Kriegsveteranen ging, um Opfer schwerster Gewalt, um Überlebende von Katastrophen. Es war ein Begriff, der Ehrfurcht gebot, weil er das unermessliche Leid beschrieb, das das Leben der Betroffenen zerrüttete.
Und heute? Heute ist Trauma der Begriff, mit dem man das gefühlte Unrecht eines missglückten Blind Dates beschreibt. Es reicht, dass jemand „Ich finde, das steht dir nicht“ sagt, und schon befindet man sich im tiefen Tal der postkritischen Belastungsstörung (PKBS). Denn in Prinzessinnenland ist jede Zurückweisung ein Dolchstoß ins empfindsame Seelenfleisch.
Vom Seelenschmerz zur Shoppingliste
Im neuen Zeitalter der Schwellen-Traumata kann jede Interaktion zum epischen Drama werden. Einige Highlights aus dem Königreich der Alltagsverletzungen:
- Das Trauma der falschen Wortwahl
Wenn jemand „süß“ statt „sexy“ sagt. Dieser unverzeihliche Übergriff auf das Ego kann Wochen der Insta-Story-Bewältigung erfordern. - Das Trauma der unbeachteten Instagram-Story
Niemand hat den neuen Post geliked? Willkommen im Land der digitalen Einsamkeit, die mit nichts weniger als „traumatisch“ beschrieben werden kann. - Das Trauma der Kritik
„Das war nicht dein bester Auftritt.“ Diese Aussage ist kein Feedback, sondern ein Frontalangriff auf die Menschenwürde. Und die Menschenwürde steht in Prinzessinnenland unter Artenschutz – außer natürlich, es geht um andere.
Warum Trauma sich so gut verkauft
Die inflationäre Nutzung des Begriffs hat nicht nur psychologische, sondern auch gesellschaftliche Gründe. In Prinzessinnenland gilt: Wer leiden kann, gewinnt. Und wer das laut und öffentlich tut, gewinnt noch mehr. Das Trauma-Label erfüllt dabei gleich mehrere Funktionen:
- Moralische Unantastbarkeit
Mit dem Wort Trauma wird jede Diskussion abgewürgt. Kritik wird zur sekundären Viktimisierung erklärt, und der Dialog endet mit einem Schulterklopfen für das „Opfer“. - Sozialer Status
Früher waren Diplome und Karrieren Statussymbole. Heute sind es Diagnosen. Je schillernder das „Trauma“, desto authentischer wirkt man in den Augen der Community. - Praktische Ausreden
„Ich kann nicht zur Arbeit kommen, ich bin traumatisiert.“ Wer braucht noch Burnout, wenn Trauma alles abdeckt – vom schlechten Wetter bis zur unerwarteten Verpflichtung?
Die wahren Opfer: Echte Traumata im Schatten der Degradierung
Während in Prinzessinnenland jedes gebrochene Fingernagel-Gefühl eine epische Erzählung verdient, sitzen Menschen mit echten Traumata am Rand der Gesellschaft. Für sie sind Flashbacks, Angstzustände und das Gefühl völliger Ohnmacht keine Inszenierung, sondern brutale Realität.
Die Inflation des Begriffs hat echte Konsequenzen:
- Entwertung der Erfahrung
Wenn alles ein Trauma ist, wird nichts mehr ernst genommen. Die Schwere realer Traumata verblasst hinter einer Flut von Lappalien. - Therapieplätze für Bagatellen
Ressourcen werden knapp. Wenn jede gekränkte Seele die Couch eines Therapeuten blockiert, wird es für Menschen mit tatsächlichem Bedarf schwierig, Hilfe zu finden. - Kultur der Unverantwortlichkeit
Das Etikett „traumatisiert“ wird oft genutzt, um Verantwortung abzulehnen. Warum an sich arbeiten, wenn man die Schuld dem „Trauma“ geben kann?
Der Weg zurück: Müssen Worte wieder Bedeutung haben?
Die Frage ist: Wie kommen wir aus diesem Schlamassel? Die Antwort liegt wahrscheinlich in einem Konzept, das in Prinzessinnenland ein Fremdwort ist: Resilienz. Resilienz bedeutet, das Leben nicht als ständigen Angriff auf die eigene Person zu sehen, sondern als Abfolge von Herausforderungen, die überwunden werden können.
Doch Resilienz verkauft sich schlecht. Es ist anstrengend, fordert Eigenverantwortung und funktioniert nicht mit Likes. Deshalb bleibt es wohl ein Wunschtraum, dass Trauma im kollektiven Sprachgebrauch wieder den Stellenwert erhält, den es verdient: Als Begriff für etwas Seltenes, Ernstes und Lebensveränderndes.
Prinzessinnenland ist ein Ort der Emotionalität, aber auch der Übertreibung. Vielleicht könnte das nächste große Abenteuer darin bestehen, Kritik zu akzeptieren, Fehler einzugestehen und die nächste falsche Kaffeebestellung einfach als das zu sehen, was sie ist: banal. Denn am Ende bleibt nur eine Frage: Wie lange können wir es uns leisten, jedes kleine Unwohlsein mit dem Begriff Trauma zu adeln, bevor wir völlig den Bezug zur Realität verlieren?
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